23.06.2013

Modern American Life: Georg Bellows | Royal Academy of Arts, London.


Wir laufen über den mit violetten Bannern gesäumten Piccadilly: das 60. Jubiläum der Krönung von Queen Elizabeth kündigt sich an. Aber es ist ganz anderer Banner, der uns wirklich in seinen Bann zieht: ein Ring umzingelt von Zuschauerköpfen, darin zwei Männer im Nahkampf, als ginge es um Leben und Tod. In dem Reprint in roten Buchstaben „RA“. Die Intensität des Bildes – die Anstrengung und Verzweiflung der Kämpfer, die Aufmerksamkeit des Richters, die Gier und das Adrenalin der Zuschauer –, zieht uns wie ein Magnet in die Royal Academy of Arts...
Und die Ausstellung macht gewaltigen Eindruck als ginge es dabei in den meisten Szenen tatsächlich ums Überleben: selbst in den ruhigeren Landschaftsaufnahmen ist der Schmerz und die Ernsthaftigkeit des Lebens zu erkennen – jedoch ohne sich dem Betrachter mit erhobenem Zeigefinger aufzudrängen, ohne, dass sich Bellows selbst zu ernst genommen hätte. Georg Bellows, Kollege und Freund von Edward Hopper, arbeitete als Reporter, der nicht in Worten, sondern in Bildern das moderne Leben im Amerika Anfang des 20. Jahrhunderts festhielt. Bellows Talent lag in seinem geschärften Blick für die Details und die Essenz der historischen Ereignisse und gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit. Dabei konnte es sich um Großereignisse wie die Wahlnacht auf dem Times Square von 1906 handeln, aber ebenso um das Schicksal von Tagelöhnern, Straßenkindern und verarmten Einwanderern oder um verbotene Boxnächte. Aber auch als Landschaftsmaler, stark beeinflusst von Manet, stellte er seine Fähigkeiten unter Beweis; am Ende seines kurzen Lebens (1882-1925) legte er, möchte man meinen, gar hellseherische Fähigkeiten an den Tag: die letzten Bilder erschienen in einem Erlösung oder Bedrohung verkündenden violetten Licht.
Die Sonderausstellungsräume sind geschickt konstruiert, so dass man einer Chronologie folgen kann, ohne sich dabei bevormundet zu fühlen. Die Bildunterschriften weisen optimale Quantität und Qualität auf: weder zu lang noch zu kurz und was sowohl die inhaltlichen als auch die technischen Aspekte betrifft genau auf den Punkt gebracht. Darüber hinaus ist die Anzahl der ausgestellten Bilder ideal, da man tief in das Amerika des Georg Bellows eintauchen kann, aber rechtzeitig wieder die Möglichkeit erhält, aufzutauchen, um im
(Extra-)Shop zu stöbern oder im gemütlichen, nicht überlaufenen Café, auf das man von oben mit einem gläsernen Lift zusteuert, eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. Wer ein wenig mehr Zeit (und Geld) hat, dem sei auch von einer Runde durch das schöne Haus und von einem Aufenthalt im stilvollen Restaurant nicht abgeraten.
Bellows´ Bilder bringen literarische Hauptwerke jener Zeit – etwa Dos Passos´ „Manhattan Transfer“ oder die Romane der Naturalisten wie Stephen Crane und Theodore Dreiser – auf den Punkt. Sie sind Spiegel damaliger amerikanischer (Alltags-)Kultur und Markeur eines neuen Wirklichkeitsverständnisses: Bis dahin tabuisierte soziale Bereiche werden zu zentralen Themen. Dabei handelt es sich nicht um gesellschaftliche Randerscheinungen, sondern um lange Zeit ignorierte Tatsachen (etwa im Gegensatz zum Thronjubiläum). Bellows´ thematischer Fokus sollte heutige Museumsmacher dazu inspirieren, sich Themen zuzuwenden, die der Politik schmerzen, und diese ohne Verschönerungskaleidoskope zu präsentieren. Die Frage der Geldgeber, d.h. die Frage hinter den Kulissen staatlicher Kulturlandschaft, wird leider lauten: wer will schon für Misere zahlen, wenn sie nicht als Kunst verkauft wird?

Lieblingsexponat? – „Snow Capped River“, 1911
Nachmachen! – Das genaue Maß: weder zu viel noch zu wenig
Wie hinkommen? – Mit der Tube bis Green Park
Charme? – Die Hausfassade des klassischen Baus ist behängt mit einem gigantischen bunten Teppich leerer Blechdosen, ohne dass dieser fehl am Platz wirkt; die Ausstellungshalle mit regelmäßig wechselnden Herausforderungen und Innovationen – Platz für Kunst sowohl Außen als auch Innen
Jahreskarte oder Tagesticket? – Ist man offen, neugierig und hungrig auf Kunst, ist man hier selten fehl am Platz

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