Das Buch zum Museum |
Zum Jahresbeginn ein kleiner Exkurs zur „Unschuld der Dinge“
– dem Buch zum Museum der Unschuld in Istanbul. Die Dinge und Erzählungen im
Museum spiegeln fiktive Lebensgeschichten und Ereignisse wider, die im gleichnamigen
Roman zum Leben erweckt wurden. Sowohl für Roman als auch Museum ist niemand geringeres
verantwortlich als Nobelpreisträger Orhan Pamuk...
In 83 Vitrinen, Boxen und auf
Treppenstufen (entsprechend den 83 Kapiteln des Romans) schildern Dinge aus der
Sammlung des Schriftstellers bzw. seines Protagonisten Kemal Basmacɪ Lebensmomente
der Romanfiguren. Trotz fiktiver Provenienz sind die Dinge selbst echt und
wurden seit den 1980er Jahren in leidenschaftlichen Schatz-Suchen durch
Istanbuls Straßen und Antiquitätenläden von Orhan Pamuk gesammelt. Er erfand
zwar die Charaktere, doch da er ihre Geschichte „anhand echter
Ausstellungsgegenstände in einem Museum erzählen sollte, würden die
Museumsbesucher nach einer Weile begreifen, dass [sie] doch echt war.“
Um nach den Bildern im Ausstellungsbuch zu urteilen, scheint
das Museum der Unschuld eines der am leidenschaftlichsten und am liebevollsten
gestalteten Ausstellungen mit alltagskulturellem Bezug zu sein. Die äußerst detailreichen
Vitrinen zeugen von einer anstrengenden und sorgfältigen Sammlungs- und
Umsetzungsarbeit. Allein in Vitrine 68 befinden sich 4213 unterschiedlich
geformte Zigarettenkippen zu denen Orhan Pamuk im Namen seines Helden diverse Bemerkungen
notierte.
Abb. S. 228/229, Copyright: Hanser Verlag |
Darüber hinaus hat Orhan Pamuk ein „bescheidenes Museumsmanifest“
mit 11 Punkten verfasst, die folgender Maßen zusammengefasst werden können: Den
großen, bombastischen Museen, die sich um Themen wie „Volk“, „Nation“,
„Geschichte“ kümmern, sollte – auch in finanzieller Hinsicht – weniger
Bedeutung zukommen. Stattdessen sollte der Fokus auf kleinere Häuser gerichtet
werden, die sich mit dem Schicksal einzelner Menschen, mit dem Alltag auf den
Straßen und in den Häusern vor Ort befassen.
Diese Abwendung vom konstruiert Epischen hin zum „echten“ Leben
der „kleinen Leute“, vom Nationalen zum Regionalen mittels biografischen
Ansatzes ist zwar nichts Neues in der Museumswelt, doch etwas, woran erinnert
werden muss. Denn dies ist im Denken vieler Häuser oft nicht mehr als eine vorübergehende
Modeerscheinung. Diese Kritik gilt generell an einer Herangehensweise, die eine
Erscheinung nur zum Thema macht, weil es gerade Trend ist – nur um es später
wieder mit einem abwinkenden Schmunzeln als „damals notwendig“ abzutun (wie
etwa Frauengeschichte oder Migration) als ob wir von der Mode der 1980er Jahre sprechen
würden.
Ich schätze Orhan Pamuks Werke wie „Das Schwarze Buch“,
„Schnee“ oder seine Erinnerungen an Istanbul. Ebenso würde ich mir vor Ort
sofort das „Museum der Unschuld“ anschauen und mich in den Lebensskizzen
genüsslich verlieren. Der Übergang von Realität zu Fiktion mag fließend sein. Dennoch
stelle ich mir die Frage nach der Bedeutung eines ganzen Museums, das eine fiktive
Erzählung entwirft. Andererseits: welche Abbildung der Wirklichkeit kommt ihr schon gleich?
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Orhan Pamuk: Die Unschuld der Dinge. Carl Hanser Verlag München 2012.
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Orhan Pamuk: Die Unschuld der Dinge. Carl Hanser Verlag München 2012.
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