07.11.2015

Arbeit & Alltag | Ruhr Museum Essen

Arbeit & Alltag; Zeche Zollverein; Kohlenwäsche; Ruhrmuseum Essen

Arbeit & Alltag, ein Spannungsfeld, das den Museumsmachern im Ruhrgebiet besonders am Herzen liegt. In Ausstellungen dieser Art präsentieren Kuratoren nicht weniger als die Kernidentität einer ganzen Region und versichern den Menschen ihr Selbstverständnis einer von Maloche geprägten Alltagskultur im Pott. Wenn das Ruhr Museum dieses "Standardthema" für eine Ausstellung aufgreift, erwarte ich nicht weniger als eine neue Perspektive auf ein gut erforschtes und museal-dokumentiertes Thema...

Die Erwartungen – und ihre Enttäuschung
Im Eingangstext ist der Anspruch formuliert, die Dichotomie zwischen Arbeit und Alltag in der Präsentation aufzulösen. Ein in der aktuellen Forschung gängiger Ansatz. Diesen Anspruch eingangs zu äußern genügt jedoch nicht, wenn dieser in der Ausstellung keine Umsetzung findet bzw. wenn den Kuratoren eine passende Methode fehlte. Zwar sind die Objekte der Haushaltung oder Freizeit neben Exponaten aus Industrie und Arbeitswelt positioniert. Jedoch ist der enge Zusammenhang zwischen diesen Objekten unterschiedlicher musealer Kategorien so nicht erkennbar. Der gemeinsame Nenner, die Koppelung oder die gegenseitige Bedingung muss benannt oder visualisiert werden. An dieser Stelle, der grundlegenden, haben es sich die Kuratoren zu einfach gemacht. Neue pointiert dargestellte Beziehungen zwischen Arbeit und Alltag oder auch unkonventionelle Sichtweisen bleiben aus. Wer neue Einsichten zum Thema erwartet wird enttäuscht. Die reine Schausammlung bleibt ohne durchgehendes Narrativ, ohne den vom Besucher so gern aufgegriffenen roten Faden.

Der zweite Blick – Identitätsschau eines Museums
Die Motive hinter der Ausstellung und ihre Bedeutung für das Ruhr Museum werden erst bei auf den zweiten Blick begreifbar. In "Arbeit & Alltag" verbirgt sich die Kernidentität des Ruhrmuseums auf Zeche Zollverein. Die seit Jahrzehnten aufgebaute Sammlung, der Nukleus des bedeutenden Museums findet in dieser Sonderschau seinen Ausdruck, komprimiert, unverfälscht, pur.

Die Objekte – wie alte Bekannte
"Arbeit & Alltag" würdigt das Objekt. In dieser Ausstellung wird die Handschrift der Kuratoren am Ruhr Museum offenkundig. Zahlreiche Objekte dürfen in der großen Ausstellungshalle für sich stehen. Der Wermutstropfen: der interessierte Besucher hat das Gefühl den ausgestellten Objekte bereits in diversen Ausstellungen zu Industriekultur oder Arbeiteralltag zwischen Duisburg und Dortmund begegnet zu sein. Wir treffen auf alte Bekannte – wo ist das Überraschende, wo bleiben die unerwarteten Verknüpfungen jenseits des Offensichtlichen? Die Ausstellung ist eine Reminiszenz an die Sammlung des Ruhr Museums respektive des Ruhrlandmuseums, ohne neue Fragestellungen oder Perspektiven auf eine mittlerweile minutiös aufgearbeitete Geschichte der Menschen im Ruhrgebiet.

Das Ausstellungsdesign – Wohltat für stilbewusste Besucher
Wie in diesem Design und modernem Stil zugewandtem Museum nicht anders zu erwarten, ist auch "Arbeit & Alltag" ein visueller Genuss. Die Ausstellung zeichnet ein schnörkelloses Erscheinungsbild aus. Die Gestalter arrangierten beeindruckende Blickachsen und die Dialoge zwischen den Objekten entstehen allein durch wohlüberlegte Positionierungen im Raum. Nichts ist zu viel. Nach Jahren der verschwenderischen Inszenierung scheint die Rückbesinnung auf basale gestalterische Methoden eine neue Möglichkeit. Im Ruhrmuseum wissen die Gestalter den vermeintlich simplen, aber reichhaltigen Werkzeugkasten zu nutzen, der ihnen zur Verfügung steht. Große Kunst ist es, allein mit Raumpositionierungen, Licht und durchdachter Objektauswahl eine Ausstellung zu gestalten. Wichtigstes Leitmotiv im Hintergrund: die Objekte sind stark genug um für sich selbst zu sprechen. Hier gilt es nicht Mut zum Weglassen zu beweisen, sondern ein Vertrauen in die Objekte zu hegen. Diese kommen dann, wenn man sie lässt, auch selbst zur Entfaltung.

Die Texte – Randbemerkungen ohne roten Faden
Eine Ausstellung, die in ihrem Gesamtarrangement keine in sich geschlossene Geschichte erzählt und auf Bühnenbildnerische, durch Inszenierung vereinfachte Bildsprache verzichtet, ist auf gute Texte zur Kontextualisierung angewiesen.  Leider wirken die Thementexte recht akademisch und sind dem Laien kaum Hilfe zur Dechiffrierung der Objektbedeutungen. Es fehlen Schlagworte, starke Beschreibungen, die dem Besucher in Kombination mit den Exponaten in Erinnerungen bleiben. Dem Dialog zwischen den Objekten und Themenbereichen fehlt der verstärkende Effekt wohlgesetzter Worte.

Die Leistung der Kuratoren – Forschung am Objekt
Die  gute Arbeit der Kuratoren offenbart sich bei Betrachtung des lohnenswerten Ausstellungskataloges. Ein klassischer Katalog, mit ausgezeichneten Objektfotografien und einem zeitlosen aber doch modern wirkenden Katalogdesign, wie es in allen Museum Standard sein sollte. Ähnlich der Ausstellung, werden in der Begleitpublikation die einzelnen Objekte exponiert vorgestellt – jedes für sich. An jedem wird dann eine Geschichte erzählt, die sich in der Gesamtschau zu einem wunderbaren Panorama des Alltags im Ruhrgebiet fügt. Zwangsläufig denkt man bei Präsentationen dieser Art an Neil McGregors 100 Objekte-Geschichten. Zwar können die Kuratoren des Ruhr Museums als Autoren dem erzähtalentierten Mr. McGregor nicht das Wasser reichen. Dennoch liefern sie eine authentische, unterhaltsame Begleitung zu den abgebildeten Objekten.

Der Besucher in der Ausstellung – Warnung an "Normalbesucher"
Für den typischen Zollverein-Touristen ist "Arbeit & Alltag"  – ohne Ausstellungsbegleitung – kaum empfehlenswert. Wer das Museumsevent sucht und erste Einblicke in den Alltag der Menschen im Ruhrgebiet im 20. Jahrhundert erhalten möchte, der ist in der permanenten Ausstellung besser aufgehoben. Für Liebhaber industrie- und alltagskultureller Objekte sowie für Menschen, die bereits etwas Vorwissen mitbringen, ist die Ausstellung sehenswert. Gerade Puristen, die Museum als Ort der Begegnung g mit außergewöhnlichen Objekten aufsuchen, haben an "Arbeit & Alltag" ihre Freude.

Lampe aus dem alten Essener Stadion
  • Lieblingsexponat? – Die Flutlichtlampe des alten Essener Stadions. Warum? ... weil dieses Objekt perfekt in die Ausstellungsgestaltung integriert ist und allein aufgrund seiner "Licht-im-Schatten-Wirkung" Anziehungspunkt ist.
  • Nachmachen! – Die Kuratoren haben stilsicher jenseits szenographischer Bühnenbildnerei oder multimedialer Spielerei eine grundsolide, zeitlos wirkende Objektschau konzipiert. Die Exponate werden – für die Intention dieser Sammlungsausstellung völlig zu recht – jenseits von Kontext und Didaktik überhöht dargestellt. Jedes Objekt bildet seine eigene Pointe.
  • Was stört? – Der Laie wird den Roten Faden vermissen. Eine explizite Ausweisung als Sammlungsausstellung wäre wünschenswert, da sonst Erwartungen, wie die nach einer runden Geschichte, schnell enttäuscht werden.
  • Wie hinkommen? – siehe hierzu den Post zur Dauerausstellung Ruhr Museum | Zeche Zollverein
  • Charme? – Eine Ausstellung im fensterlosen Bunker der Kohlenwäsche auf Zollverein entfaltet immer ihren einzigartigen Charme, der Besucher in jedem Winkel des Raumes in Staunen zu versetzen mag – und ganz klein macht. 
  • Jahreskarte oder Tagesticket? – Das Ruhr Museum, seine Sonderausstellungen und die Architekturikone Zeche Zollverein sind immer wieder einen Besuch wert.
  • Was gibt’s noch? – Beispielsweise einen von Natur und Industriecharme nur so strotzenden "Panoramaweg" vom Zechengelände zur gigantischen Kokerei Zollverein. Der Ausstellungskatalog ist für jeden Interessierten zu empfehlen.
Alltag: ein Waschkessel
Kruppstahl, Waffenschmiede, Ruhrgebiet, Kanonenbaron Krupp, Essen
Das leichte Feldgeschütz ist Produkt der Arbeit von Krupp in Essen
Eine Reihe von Objekten, die den Alltag im
Ruhrgebiet des 20. Jahrhunderts dokumentieren
Arbeiterkultur, Arbeiterwohnen
Typische Objekte der Haushaltung
Ruhrgebiet, Umweltverschmutzung, Emissionen, schlechte Luft
Karikatur
Klappbare Sitzbank mit eingebauter Badewanne – praktisch
für besonders beengte Wohnverhältnisse
emaillierte Blechschilder mit
Werbung  für alltägliche Produkte 

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